Erinnerung hat Konjunktur in unseren Zeiten. An jedem Zeitungskiosk werden Publikationen feilgeboten, die sich einzelnen historischen Epochen widmen. Und eine nicht abreißende Serie von Dokumentarfilmen lüftet scheinbar die letzten Geheimnisse der Vergangenheit. Was zurückliegt, wird neu entdeckt, erkundet, vermessen und aufgeteilt.
Hinzu kommen die runden Jahrestage, die gewürdigt werden wollen und Anlass zum Rückblick geben. In zwei Jahren wird das Ende des Zweiten Weltkrieges aus allen Perspektiven beleuchtet werden. Doch das alles wird noch übertroffen werden vom vierjährigen Erinnerungsmarathon, der uns ab 2014 bevorsteht, wenn Europa an den Ersten Weltkrieg vor hundert Jahren erinnert.
Auch der Volkstrauertag hat mit dem Blick auf die Vergangenheit zu tun. Aber im Gegensatz zur wissenschaftlichen oder journalistischen Sichtweise ist das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft auch eine zutiefst emotionale Angelegenheit. Mitgefühl ist angebracht.
Es entsteht, wenn wir uns das Leid der Menschen vor Augen halten, die während der Kampfhandlungen um ihr Leben fürchteten, die getötet wurden, die in Kriegsgefangenschaft, in Konzentrationslager oder Ghettos ermordet wurden. Die auf der Flucht, in den Bombennächten oder im Exil ums Leben kamen. Mitgefühl erfüllt uns auch, wenn wir an die Hinterbliebenen denken. An deren jahrelange quälende Ungewissheit über das Schicksal der Menschen, mit deren Verlust sie sich irgendwann abfinden mussten.
Mitgefühl ist eine menschliche Errungenschaft. Sie setzt das Vermögen voraus, die Gefühle der anderen, ihre Trauer und ihren Schmerz anzuerkennen und sich hineinzudenken. Sie macht nicht an den nationalen Grenzen Halt und führt zu der Einsicht, dass die Menschen über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg durch gemeinsame Werte, Rechte und Pflichten, Sehnsüchte und Ängste miteinander verbunden sind. Ganz gleich, ob sie in Europa oder in einem anderen Kontinent leben. Ob sie Zeitgenossen sind oder Angehörige einer vergangenen Epoche. Wir können uns nicht von den Opfern der Kriege und Gewaltherrschaft lossagen.
Die Bereitschaft, sich in die Gefühle der anderen hineinzuversetzen, erzeugt Respekt, Toleranz und Solidarität. Sie schützt vor Hass und Vorurteilen und weckt das Bedürfnis zu helfen. Mit Blick auf die kriegerischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts bedeutet dies, dafür zu sorgen, dass sich dergleichen Unrecht und Leid nicht wieder ereignen.
Es ist durchaus angebracht, die Botschaft des Volkstrauertages auf den Appell an diese innere Haltung zu konzentrieren. Wer mitfühlen kann, ist ein friedfertiger Mensch. Für das friedliche Miteinander auf unserem Planeten wäre viel erreicht, wenn wir uns darauf nicht nur am Volkstrauertag besinnen würden.
Haben Sie recht herzlichen Dank.